[1000 Kreuze] Info-Flugblatt zur Repression & den Lebenschützer_innen

Gegen 1000 Kreuze…

Am 14. März 2009 fand in Münster eine Gebetsprozession („1000 Kreuze für das ungeborene Leben“) christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner_innen statt. Zu diesem Anlaß hatte ein antisexistisches Bündnis zu kreativen Gegenaktivitäten geladen, um den selbsternannten „Lebensschützern“ aus Münster und anderen Teilen der Republik zu zeigen, dass sie mit ihrem antifeministischen, reaktionärem Weltbild nicht erwünscht sind.
Als der Gebetszug mit ca. 200 Abtreibungsgegner_innen gegen 15.00 Uhr aus der Aegiidikirche herauskam, wurde er von ebensovielen Protestierenden empfangen. Profeministische Parolen, Schilder, Flyer und Transparente informierten die „Lebensschützer“ und interessierten Passant_innen, was die Protestierenden von einem menschenverachtenden Frauenbild halten und welcher emanzipatorische Gegenentwurf sinnvoll wäre.
Teile der Protestierenden wurden nach zwei Stunden von der Polizei eingekesselt und abgedrängt. Erst jetzt setzte sich der Kreuzemarsch in Bewegung. Andere Gegendemonstrant_innen mischten sich kreativ unter den Zug, warfen mit Kondomen und Konfetti oder begleiteten ihn lautstark von der Seite mit emanzipatorischen Parolen.

Über 120 Personen mussten an dem Tag ihre Personalien abgeben und werden nun – acht Monate später – mit Anklageschriften und Strafbefehlen belästigt. Der notwendige Protest gegen die fundamentalistischen, reaktionären Weltanschauungen der „Lebensschützer“ wird kriminalisiert.

Der Holocaust wird relativiert
Die christlichen Fundamentalist_innen stehen der rechtsextremen Szene nahe und machen bei ihren Kreuzemärschen gerne auch mit Nazis gemeinsame Sache. Dies zeigte sich bereits am 4. Oktober 2008 in München, als die „Lebensschützer“ gemeinsam mit ca. 60 Neonazis marschierten. Eine Distanzierung fand zunächst überhaupt nicht statt: Bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatte es eine Anfrage von Kritiker_innen an Euro-Pro-Life gegeben, wie die Organisation denn zu der Unterstützung ihres Gebetszugs durch die „Freien Nationalisten München“ stehe. (Letztere hatten Anfang September 2008 dazu aufgerufen, den Kreuzemarsch zu unterstützen.) Daraufhin gab Euro- Pro-Life eine Erklärung ab, in der es u.a. heißt: „Jeder, der von Herzen in diesem Anliegen mit uns mitbeten möchte, ist willkommen.“ (www.npd-blog.info, „Bayern: Abtreibungsgegner heißen ‚Freie Nationalisten‘ zum Mitbeten willkommen“)
Erst Tage nach dem 1000-Kreuze-Marsch und nach massivem öffentlichen Druck veröffentlichte Euro-Pro-Life eine Erklärung, mit der man sich von der rechten Szene abgrenzen wollte. Jedoch: Als die selbsternannten „Lebensschützer“ am 14. März dieses Jahres durch Münster zogen, wurden ebenfalls Aktivist_innen der rechten Szene unter den „tausend Kreuzen“ gesichtet. Auch gegen sie richtete sich der Protest: „Gegen rechtslastigen Fundamentalismus“ war auf einem Schild der Gegendemonstrant_innen zu lesen.
Bei derartigen Überschneidungen wundert es nicht, dass ein eifriger Unterstützer der Bewegung der Augsburger Bischof Walter Mixa ist, der – während der Affäre um Bischof Williamson – äußerte: „Es hat diesen Holocaust sicher in diesem Umfang mit sechs Millionen Getöteten gegeben. Wir haben diese Zahl durch Abtreibungen aber bereits überschritten.“- Vor diesem Hintergrund ist es sehr erfreulich, dass die Erzdiözese München und Freising sich in diesem Jahr von dem Gebetszug aufgrund der Nähe zu rechtsextremen Kräften distanziert und Euro-Pro-Life die Nutzung kirchlicher Räume untersagt hat. Der diesjährige 1000-Kreuze-Marsch am 24. Oktober in München musste daher, anders als geplant, ohne Messfeier beginnen, und konnte auch nicht in, sondern lediglich auf dem Platz vor der St.-Pauls-Kirche starten. Wieder nahm eine größere Gruppe (erkennbarer) Nazis an der Auftaktkundgebung teil, allerdings waren es weniger als im Vorjahr. Mehrere bekannte Nazis, z.B. Willi Wiener von der NPD, liefen auch danach noch im Zug mit.
Am 14. März in Münster konnten die reaktionären Abtreibungsgegner_innen ihren Aufzug mit einem Gottesdienst in der katholischen Aegidiikirche beginnen, eine offizielle Distanzierung des Bistums lässt leider noch auf sich warten. Von Weihbischof Franz-Josef Overbeck war lediglich zu erfahren, es handele sich nicht um eine Veranstaltung des Bistums: „Alles, was extrem ist, ist nicht gut.“ (Echo Münster am 14. März 2009)

Wer sind die Münsteraner „Lebensschützer“?
Angemeldet wurde der 1000-Kreuze-Marsch von der Münchener Organisation „Euro-Pro-Life“, laut Eigenaussage ein Dachverband von „Vertretern von Lebensschutzgruppen aus 15 Europäischen Ländern“, jedoch „im Präsidium sitzen […] nur Süddeutsche wie Hering“ (Lotta #36, S.19).
Besagter Münchener Wolfgang Hering war Anmelder des 1000-Kreuze-Marschs. Er findet sich öfter mit Gesinnungsgleichen in Münster ein, um hier vor Abtreibungskliniken zu mahnen. Wer aber sind die Münsteraner „Lebensschützer“?

Die älteste in Münster aktive fundamentalistisch-christliche Organisation ist der 1948 gegründete „Komm-mit-Verlag“, in dessen Herausgeberschaft eine gleichnamige Zeitung und ein gleichnamiger Kalender lag. Beide fielen in der Vergangenheit mehrfach auf, da sie nicht nur eine rigide Sexualmoral, sondern auch Geschichtsrevisionismus pflegten. Geworben wurde z.B. für die rechtslastigen Publikationen „Junge Freiheit“ und „Nation und Europa“. Felizitas Küble, seit dem Tod des Gründers Günter Stiff (2002) Leiterin des Verlags wie auch dem diesem nahe stehenden Christoferuswerk, ist regelmäßige Autorin der Jungen Freiheit. In einer Pressemitteilung des Christoferuswerks verteidigt sie Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin und dessen rassistische Äusserungen. In einem Interview mit der „Lettre International“ hatte Sarrazin u.a. hohe Geburtenraten von türkischen Migranten als Bedrohung begriffen: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“

Unter der selben Anschrift wie das Christoferuswerk und der Komm-mit-Verlag ist die Bundesgeschäftsstelle der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) zu finden, gegründet von der Landadeligen Johanna Gräfin von Westphalen. Die CDL ist eine „Lebensschützer“-Organisation innerhalb der CDU, wenn auch ausdrücklich nicht nur für Parteimitglieder zugänglich. Gleichzeitig ist sie Vorsitzende der Stiftung „Ja zum Leben“, die sie ebenfalls gegründet hat.

Ebenfalls mit im Bund ist regional der „Kardinal-von-Galen-Kreis“ in Stadtlohn, ein „Aktionskreis katholischer Laien und Priester“. Als Mitgliedsverein im „Zusammenschluss papsttreuer Vereinigungen“ sind die Themen hier z.B. „der göttliche Plan der Geschlechter“ (2007). Hier geht es darum, Gender-Theorien, die das Geschlecht als sozial konstruiert verstehen, als Ablehnung des „Mütterlich-Empfangenden“ zu deuten. Geschlecht ist den fundamentalistischen Gruppen etwas ewig Festgelegtes, das einen festen Platz in „Gottes Heilsplan“ hat. Hintergrund des dezidierten Kampfes gegen Feminismus und Theorien vom konstruierten Geschlecht ist auch das „Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt“, das Kardinal Ratzinger, heute Benedict XVI., 2004 verfasste. Der Galen-Kreis ist Mitglied im „Forum deutscher Katholiken“, in dessen Vorstand u.a. die dezidiert antifeministische Junge Freiheit-Autorin Gabriele Kuby sitzt.

Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht: Der weibliche Körper als Gemeinschaftsgut
Unter der Maske des Schutzes ungeborenen „Lebens“ fordern die selbsternannten „Lebensschützer“ nichts anderes, als die Bestimmung über den Körper von ungewollt schwangeren Frauen in die Hände einer Zwangsgemeinschaft zu legen. Die Entscheidungsfreiheit darüber, welche Eingriffe an dem eigenen Körper vorzunehmen sind, ist ein Kristallisationspunkt, in dem sich individuelle Freiheit, Menschenwürde und Selbstbestimmung eines Menschen spiegeln. Die Idee, dass man ungewollt schwangere Frauen mit voller moralischer Legitimation dazu zwingen könnte, körperliche Eingriffe zu unterlassen und sie in den Dienst der „Lebensrettung“ eines Fötus zu stellen, basiert auf sexistischen, tradierten Vorstellungen eines Zugriffsrechtes der Gemeinschaft auf den Körper von Frauen und ihrer Reproduktionsfähigkeit. Nur schwerlich käme hingegen jemand auf die Idee, in anderen Bereichen, bei denen die Lebenserhaltung eines Individuums tatsächlich gegeben ist, ein derartiges Zugriffsrecht zu propagieren und Personen zu Eingriffen in ihren Körper – wie beispielsweise Blut-, Nieren- oder Knochenmarkspende – zwingen zu wollen. Auf der Internetseite der Organisation „Euro-Pro-Life“ lässt sich somit auch Folgendes lesen: „Wir können nicht schweigend zusehen, wenn unschuldige Babys im Mutterschoß getötet werden, weil die Mutter der Meinung ist, ‚mein Bauch gehört mir‘.“Die logische Weiterführung dieses Gedankengangs ist, dass sie selbst, Euro-Pro-Life oder ein anderes Zwangskollektiv, über den ‚Bauch‘ zu bestimmen haben sollten.
Die Gemeinschaft, in deren Dienst der Körper von Frauen und damit die Frauen selbst gestellt werden sollen, ist in der Argumentation von Euro-Pro-Life nicht etwa eine vorgestellte Gemeinschaft der Menschen allgemein. Nur vordergründig geht es den „Lebensschützern“ um den allgemeinen Schutz des „ungeborenen Lebens“. Das, was geschützt werden soll, ist vielmehr eine als überlegen gedachte Gemeinschaft der „Europäer_innen“. So sei nach Euro-Pro-Life, und dieses ist das Hauptargument gegen Schwangerschaftsabbrüche, „Europa […] mit seiner sehr niedrigen Geburtenrate ein sterbender Kontinent“.Diese Äußerung erinnert an neonazistische Töne von einer vermeintlichen „Überfremdung“ Europas, die es aufzuhalten gelte – im Fall der „Lebensschützer“ durch eine Reduktion von „europäischen“ Frauen auf ihre Reproduktionsfähigkeit unter Negation ihrer Selbstbestimmungsrechte.
Die Beleidigung von Frauen kennt keine Grenzen
Das propagierte Zugriffsrecht auf den Körper von Frauen sowie die damit einhergehende Ignoranz gegenüber der individuellen ökonomischen und persönlichen Situation der Schwangeren und die Diskreditierung von Frauen, die Abbrüche vorgenommen haben, kennen dabei keine Grenzen. Man zögert in der katholischen Kirche nicht, eine Mutter, die ihrer in Folge einer Vergewaltigung schwanger gewordenen 12-jährigen Tochter zum Schwangerschaftsabbruch verholfen hat, zu exkommunizieren (www.heise.de). Jedes Kreuz des 1000-Kreuze-Marsches symbolisiert vordergründig die „Trauer“ um einen Fötus und stigmatisiert gleichzeitig die Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hat, zu einer „Mörderin“. Die Beschuldigungen seitens der christlichen Fundamentalist_innen gehen dabei so weit, Frauen, die sich zu einem Abbruch entscheiden, mit den SS-Wachmannschaften in Vernichtungslagern zu vergleichen. Im Zuge des 1000-Kreuze-Marsches in Münster eröffnete eine der Teilnehmerinnen, sie sei der Meinung, dass die derzeit durchgeführten Abbrüche „schlimmer“ seien als die Vernichtung des europäischen Judentums (nachzuhören auf www.gloria.tv).
In der Argumentation der selbsternannten „Lebensschützer“ zeigt sich also die Forderung, Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihre Körper und ihr weiteres Leben rigoros abzusprechen und sie in den Dienst einer mit Zwang durchgesetzten Gemeinschaft zu stellen.

… für ein selbstbestimmtes Leben!

Gegen die Strafbefehle haben fast alle Betroffenen Einspruch eingelegt. Wir wollen uns unser Recht, gegen solche Trends in der Gesellschaft zu protestieren, nicht nehmen lassen. Die nun folgenden Prozesse werden Geld kosten. Solidarität brauchen wir aber nicht nur in finanzieller Form, sondern auch in Form von Öffentlichkeit. Schreibt Leser_innenbriefe und protestiert bei der Staatsanwaltschaft für eine Einstellung der Verfahren!

Spendenkonto:
Schwarz-Rote-Hilfe Münster
Konto Nr. 282 052 468
BLZ 440 100 46
Postbank Dortmund

Verwendungszweck: 14. März

Weitere Informationen: www.gegen1000kreuze.blogsport.de

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