Im folgenden dokumentieren wir mit freundlicher Genehmigung des Unrast Verlag das (leicht abgewandelte, an Münster angepasste!) erste Kapitel des überaus lesenswerten Buches „Wege durch die Wüste“. WDDW ist ein von einem Autor_innenkollektiv herausgegebener Antirepressionsratgeber für die politische Praxis.
AutorInnenkollektiv (Hg.)
Wege durch die Wüste
Ein Antirepressionshandbuch für die politische Praxis
ISBN: 3-89771-404-3
Ausstattung: br., 280 Seiten
Preis: 9.80 Euro
2. Aktualisierte Auflage.
ISBN-13: 978-3897714496 (Alternativ zur obigen ISBN)
Der Ratgeber im Umgang mit Repression.
„Durch die Wüste – eine lohnende Investition in die eigene Sicherheit“ – Schlagloch, Junge Linke NRW
Was tun, wenn die Repression uns in Form von Ermittlungen, Platzverweisen, Festnahmen, Überwachung, Durchsuchungen, Vorladungen … trifft? Grundlegend überarbeitet bietet der Ratgeber nicht nur einen schnellen Überblick. Er vermittelt zu allen Themen auch die weitergehenden Zusammenhänge, verweist auf Erfahrungen aus der politischen Praxis und Diskussionen, die für einen Umgang mit Repression unverzichtbar sind.
Repression
»Wer sich mit dem Tiger anlegt, kann später nicht behaupten sie/er wollte nur mit der Katze spielen!«
Plötzlich ist es passiert! Du spürst einen Knüppel im Rücken, dein Arm wird nach hinten verdreht und ab geht es mit Lalülala – oder auch mal ohne – auf die nächste Bullenwache.
Vielleicht spürst du aber nur, wie sich eine behandschuhte Hand in deine Jacke krallt und zum Türmen ist keine Zeit mehr. Du bist von Bullen umzingelt, oder du bist in diesem Moment zu erschrocken und verängstigt.
Das kann dir überall passieren, sei es bei einer Demo, im Wald bei Gorleben oder beim nächtlichen Hantieren mit Spraydosen … Egal, ob du was »gemacht« hast oder nicht: Unschön ist deine Lage allemal.
Es geht aber auch anders: Meist frühmorgens klingelt es an der Tür, und wenn nicht geöffnet wird: Herein kommen sie so oder so. Gerade bei einer Hausdurchsuchung bemühen sich die Bullen um einen gewissen Überraschungseffekt.
Weniger direkt, aber deswegen nicht minder unangenehm, kann ein Blick in den Briefkasten sein: Du wirst vorgeladen – zur Bullenwache oder zum Staatsanwalt – als BeschuldigteR oder um als ZeugIn gegen GenossInnen, FreundInnen, Leute von einer Demo oder wegen sonstwas aus zu sagen.
Allgemein wird gesagt: »Guter Rat ist teuer«. Das sagen wir nicht!
Am besten sind gewissenhafte Vorbereitungen auf solche oder ähnliche Situationen. Es lassen sich nie alle Eventualitäten im voraus durchspielen. Aber eine Auseinandersetzung mit dem, was jeder/m, die/der gegen Nazis, staatliche Politik und deren Realisierung kämpft, passieren kann, ist wichtig. Es ist eine Hilfe, um angesichts einer solchen Repression nicht den Kopf zu verlieren. Das geht nämlich verdammt schnell und nützt gar nichts, im Gegenteil.
Am besten läuft eine solche Auseinandersetzung erfahrungsgemäß in der Gruppe, mit der du auf eine Demo fährst und Aktionen machst. Oder auch mit der WG, auch wenn du dich und die Leute, mit denen du wohnst, erstmal nicht als Objekt polizeilicher Begierde wähnst. Wenn du aber keine Gruppe bzw. Leute hast, bei denen du dich informieren kannst, dann wende dich einfach an die nächste Rechtshilfegruppe in deiner Nähe.
Rage against the Machine
Uns geht es nicht darum, hier in erster Linie herauszustellen, wie schlimm dieses System ist, wie »gemein« es mit seinen FeindInnen oder GegnerInnen umgeht. Es geht uns darum, dass du das System der polizeilichen und juristischen Arbeit kennen solltest und dich dadurch nicht mehr einer »fremden Macht« ausgesetzt fühlst, wenn du dich gegen die herrschenden Verhältnisse wehrst oder auflehnst. Von daher ist eine Auseinandersetzung mit dem, was an Repression über dich hereinbrechen kann, ein wichtiges Teilstück in deinen Widerstandshandlungen. Wir begreifen Repression nicht nur als gegen eineN persönlich gerichtet, sondern gegen das politische Handeln, die Identität, die von uns dahinter steht. Deswegen sollte klar sein, dass ein Umgehen mit Repression nicht Sache einzelner, sondern aller ist. Dazu gehört, daß die Verfolgten nicht alleine gelassen werden.
Die Art und Weise der Repression sowie der Grad ihrer Schärfe hängen von vielerlei Umständen ab. Deswegen ist sie auch keine von uns exakt vorhersehbare Größe, etwa im Sinne »wenn du dies oder jenes machst, kriegst du, wenn es schief geht, soundso viel dafür« oder »wenn du nur bei einer Sitzblockade mitmachst, passiert schon nichts«. Je nach RichterIn, StaatsanwältIn, politischer Großwetterlage und Ort deines Verfahrens kann das Strafmaß für gleiche Vorwürfe unterschiedlich ausfallen. Es macht dennoch Sinn, sich mit dem Thema auseinander zu setzen und dabei nicht den Mut zu verlieren.
In diesem Sinne, viel Spaß beim Lesen!
Was ist staatliche Repression?
Es gibt bis jetzt keine Gesellschaft frei von Macht- und Verteilungskämpfen. Diese werden durch die bestehenden Herrschaftsverhältnisse mit unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen strukturiert und entschieden. Es gibt kein neutrales, für alle Zeiten allgemein gültiges Recht. Jede Verfassung eines Staates und damit das gesetzlich geregelte Normengefüge ist immer Ausdruck der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Die herrschende Ordnung ist die Ordnung der Herrschenden. Da Deutschland eine kapitalistische, rassistische und patriarchale Gesellschaft ist, haben Normen und damit das Recht auch kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Charakter. Diese produzieren unversöhnliche Widersprüche (Antagonismen), die nur durch eine radikale Überwindung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Struktur gelöst werden können.
Jede herrschende Ordnung unterliegt dem Selbsterhaltungsprinzip – sie will sich vor tief greifendem strukturellen Wandel schützen. Dabei stehen ihr zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
a) Die Integration bestimmter Bevölkerungsteile durch materielle und/oder politische Partizipation (Beteiligung).
b) Die Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung – sowohl auf ideologischer, materieller, bürokratischer oder repressiver Ebene.
Auch die herrschende Ordnung in Deutschland – und natürlich nicht nur die – unterliegt dem Prinzip der Selbsterhaltung. Und weil diese Ordnung auf Unterdrückung und Ausbeutung aufgebaut ist, ist sie repressiv und gewalttätig. Dabei muss es sich nicht immer um direkte Gewalt handeln, denn »es gibt viele Arten zu töten« (B. Brecht).
Die Repression trifft nicht nur diejenigen, die sich aktiv gegen diese Gesellschaftsordnung stellen. Die Linke vergisst in Fällen einer repressionsbedingten Nabelschau allzu gern, dass auch andere Teile der Gesellschaft – und diese oft noch viel stärker – von alltäglicher Unterdrückung betroffen sind. Diese Repression muss von den Betroffenen noch nicht einmal als solche wahrgenommen werden. Sie ist dennoch in Form von Rassismus, Kapitalismus und Seximus vorhanden. Allerdings ist für uns eine Eingrenzung des Begriffes Repression notwendig.
Repression hat viele Gesichter: Die Arbeitsdisziplin, die Organisierung der Lernfabrik Schule, die Beibehaltung der bürgerlichen Kleinfamilie, der Zwang zum Konsum und die Ideologie der Freizeitgesellschaft – aber eben auch der Polizeiknüppel, der Strafprozess und der Knast.
Wir wollen uns hier mit dem Begriff der »staatlichen Repression« beschäftigen, also mit all den Mitteln und Instrumenten, die das Gewaltmonopol des Staates ausmachen.
Ziel dieser Repression sind alle, die Gesetze übertreten oder übertreten könnten, weil sie aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Zugehörigkeit oder äußerer Merkmale von vornherein in Verdacht stehen. Das Gesetz gilt zwar für alle, aber vor dem Gesetz sind nicht alle gleich.
Zum Glück gibt es noch Leute, die in der politischen Auseinandersetzung Normenbrüche begehen – von zivilem Ungehorsam bis zum militanten Angriff. Sie bekommen die Wucht staatlicher Gewalt nicht nur aufgrund ihres Handelns, sondern auch aufgrund ihrer Motivation, also ihrer Gesinnung, zu spüren. Häufig wird aufgrund ihrer Gesinnung die Normübertretung erst konstruiert, um den Einsatz der Repression zu legitimieren.
Das ist unser Begriff von staatlicher Repression, um den es in diesem Buch geht. Dabei sind konkret einzelne betroffen, gemeint aber sind in der Regel die politischen Auffassungen der gesamten Strömung, Bewegung, Partei oder Organisation.
Staatliche Repression agiert mit den Mitteln Abschreckung, Vorbeugung, Konfrontation und Vergeltung
Zu Abschreckung und Vorbeugung zählen beispielsweise Demoverbote, die permanente Bullenpräsenz im Wendland in der Zeit rund um die Castor-Transporte oder die permanenten schikanösen Kontrollen von GipfelgegnerInnen beim G8 in Heiligendamm 2007, als Bullen immer wieder Busse und Konvois von Fahrzeugen stundenlang zu Kontrollen festhielten.
Diese Aktionen dienen vornehmlich dem Zweck, politische Prozesse und Entwicklungen präventiv zu behindern. Im offiziellen Sprachgebrauch heißt das dann: »Präventive Maßnahmen gegen kriminelle Tätigkeit«.
Ebenso gehören zum Katalog Bekämpfung-des-Widerstandes-durch- Abschreckung:
• Die zunehmenden Versuche, durch Doku-Trupps bei den Bulleneinheiten zwecks Videoauswertung »wer geht denn da mit wem« Bewegungsprofile von uns zu erstellen.
• Hausbesuche vor bestimmten Anlässen: z.B. Am Morgen des 1.Mai in Berlin durch die Bullen, um die Leute darauf hin zu weisen, dass sie sich »heute ja nicht auf der Straße sehen lassen sollen!«
• LiMo-Dateien (linksmotivierte StraftäterInnen)
• Computerisierung bei den Bullen zur Verbesserung und Ausweitung polizeilicher Datenverarbeitungssysteme, beobachtende Fahndung und Rasterfahndung.
• Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei, z.B. dessen extrem restriktiver Umgang mit Flüchtlingen.
Letztlich wirkt auch der gesamte militärische Apparat als staatliche Option innerhalb einer politischen Auseinandersetzung vorbeugend repressiv.
Konfrontation bezieht sich auf die unmittelbaren Versuche, Aktionen, Demos, Kundgebungen und Veranstaltungen zu beeinträchtigen und zu zerschlagen, einzelne Leute heraus zu greifen und unsere politischen Zusammenhänge anzugreifen.
Zivile Greiftrupps, Bullenprovokateure, die bei uns mitlaufen, der Bullenknüppel und die Wasserwerfer oder ein einschüchterndes übermächtiges Bullenaufgebot gehören unter anderem dazu.
Dass die Bullen keine neutrale Kraft sind, die die »fehl geleitetete Politik« der Herrschenden aus zu baden haben, muss jeder/jedem klar sein, die schon einmal gezielte und geplante Übergriffe miterlebt oder davon gehört hat. Immer wieder lösen sich einzelne Einheiten oder einzelne Bullen aus dem Gesamteinsatzkonzept heraus und toben sich mit Prügelorgien und Massenfestnahmen aus. Klar ist, daß dieses eigenständige Agieren der Bullen politisch durchaus gewollt bzw. zumindest politisch gebilligt wird.
Die Wechselbäder zwischen »Bürgergespräch« und Knüppel kennt jedeR von uns. Der Schmusekurs der Bullen beim Naziaufmarsch im Hansaviertel 2006 in Münster auf der einen Seite und die im krassen Gegensatz dazu stehende Polizeistrategie bei nahezu allen G8-Aktivitäten im letzten Jahr auf der anderen Seite, wo im Vorfeld ein Terror-Szenario an die Wand gemalt wurde, dass das maßlose kontrollieren, prügeln, Ingewahrsam nehmen und weitere Methoden im Vorfeld legimitieren sollte.
Unter Vergeltung fallen für uns unter anderem die Maßnahmen der Strafverfolgung: Festnahmen, Verhör, die Verhörmethoden, Strafbefehle, Bußgelder, Verfahren, Prozesse, Urteile und Knast.
Natürlich sind diese Wesensmerkmale der Repression oft nicht exakt voneinander zu trennen; sie sind miteinander verzahnt und überlappen sich. So bedeuten Bulleneinsätze wie die Massenfestnahmen im Zusammenhang mit Aktionen z.B. im Mai 1999 in Berlin für alle Beteiligten nicht nur ätzende Freiheitsberaubung (Konfrontation), sondern haben häufig in Form von Bußgeldbescheiden auch ein finanzielles Nachspiel (Vergeltung).
Alles in allem wirken sie so aber auch abschreckend und damit »vorbeugend«: Wer damit rechnen muss, bei einer Protestaktion Stunden oder Tage eingekesselt oder weg gesperrt zu werden und danach auch noch viel Kohle abdrücken zu müssen, wird sich zweimal überlegen, ob sie/er zu dieser Aktion gehen kann. Die Schärfe der Auseinandersetzung wird in diesem Beispiel von der Gegenseite bestimmt.
Ständige Kontrollen, Hausdurchsuchungen und Bespitzelungen fallen auch unter diese Linie. Mit dem Ziel, weiteren Widerstand zu verhindern, transportieren diese Maßnahmen ganz klar die Botschaft: »Das ist der Preis, den ihr zahlen müsst, wenn ihr euch nicht ruhig verhaltet«.
Ziele und Mittel staatlicher Repression
Grundlegendes Ziel staatlicher Repression ist die Machterhaltung, die durch Abschreckung, Ausgrenzung und Entpolitisierung der politischen GegnerInnen durchgesetzt wird.
a) Spaltung: Bewegungen werden über den Hebel der Repression zum Beispiel in »friedliche« und »gewalttätige« Teile auseinander dividiert. Beispielsweise, wenn auf einer Demo die Bullen gezielt einen Block einkesseln und der übrigen Demo die Möglichkeit lassen weiter zu gehen (1.Mai 2008 in Wuppertal). Diese Spaltungstendenz, die seit längerem die Anti-Atombewegung immer wieder schwächt, stellt auch in der globalisierungskritischen Bewegung eine Gefahr dar. Sie setzt sich nach innen fort, wenn wir bei Auseinandersetzungen innerhalb außerparlamentarischer Bewegungen über die Gewaltfrage unsere gemeinsamen Inhalte aus den Augen verlieren. Ist die Spaltung in »Friedliebende« und »Chaoten« erst mal erreicht, dann können über verschärfte Repressionsmaßnahmen ganze politische Zusammenhänge kriminalisiert werden: Zum Beispiel mit Anklagen nach §129 oder §129a StGB wegen Bildung oder Mitgliedschaft in einer so genannten »kriminellen oder terroristischen« Vereinigung, ganz gleich, was den einzelnen nachgewiesen werden kann.
b) Isolation und Aussonderung: Eng damit verknüpft ist der Versuch der Isolierung, der Aussonderung einzelner durch Festnahme, Verhaftung und U-Haft. Die Gefangenen stehen zwar im besten Fall für eine ganze Bewegung, müssen jetzt aber erstmal mit der eskalierten politischen Konfrontation – und nichts anderes ist justizielle Repression – alleine umgehen. Die schärfste Form der Aussonderung stellt die Isolationshaft dar: Sie versucht, durch das Abschneiden der Kontakte zum politischen Umfeld, allgemein zu anderen Menschen bis hin zu jeglichen Umwelteinflüssen, die politische Identität der/des Gefangenen und damit sie oder ihn als kämpfenden Menschen zu brechen.
c) Entpolitisierung: Grundlage staatlicher Repression ist es, den politischen GegnerInnen des Systems mit den Maßstäben der Kriminalität zu begegnen. So sollen politische Konfrontationen innerhalb der Gesellschaft – wie z.B. in dem Konflikt zwischen sozialen Bewegungen gegen das Atomprogramm einerseits, staatlichem und kapitalistischem Durchsetzungsinteresse andererseits – entschärft werden. Ihnen soll der Charakter des Politischen und damit ihre potentielle Sprengkraft genommen werden, indem das Problem auf strafrechtlicher Ebene abgehandelt wird. Über die Diffamierung der politischen GegnerInnen durch Bezeichnungen in den Medien wie »Störer«, »Chaoten« und »Terroristen« wird Angst und Stimmung gegen linke außerparlamentarische Aktionsformen gemacht. Insbesondere „Nicht-Deutsche“, Flüchtlinge und MigrantInnen werden mit solchen Hetzbegriffen diffamiert und in »friedlich« und »gewalttätig« gespalten. Die Inhalte der dahinter stehenden Politik werden verschwiegen und die öffentliche Debatte auf die Gewaltfrage reduziert. »Chaos« und »Terror« suggerieren Aktionismus ohne Sinn, Verstand und Ziel und stellen somit eine scheinbar unkalkulierbare Gefahr für die Allgemeinheit dar. Die Folge ist die breite Identifikation politisch Unbeteiligter mit den von uns angegriffenen Machtträgern/Machtstrukturen. Um so wichtiger ist es, dass wir bei unseren Aktionen immer wieder unsere Ziele, aber auch unsere moralischen/ ethischen Grundsätze transparent machen.
Repression ist nicht gleich Repression
Wie gesagt, das bestimmende Moment der Repression ist es, die Interessen des Staates möglichst wirksam durchzusetzen.
Klar ist dennoch, auch aus der Erfahrung jedes politisch tätigen Menschen, dass Repression nicht unterschiedslos und immer gleich gegen jede politische Bewegung eingesetzt wird.
Die Härte der Repression richtet sich beispielsweise auch danach, wie Widerstand geleistet wird: Ob gegen das Atomprogramm demonstriert wird oder Naziaufmärsche blockiert werden, anlässlich von Gipfeltreffen demonstriert wird, Brandanschläge auf Autos verübt werden, Bauplätze besetzt oder ihre Gebäude wie der Knastneubau Weiterstadt im Jahr 1993 zerstört werden.
Das Vorgehen des Staates hängt auch davon ab, inwieweit es ihm gelingt, der Mehrheit der Bevölkerung seine Interessen zu verkaufen. Zum Beispiel war im Herbst 1977 durch die Diffamierung des bewaffneten Kampfes als »Terrorismus« und die dazugehörigen Medienkampagnen das nötige Klima für die Ausweitung staatlicher Befugnisse weit über die eigenen verfassungsrechtlich abgesicherten Spielregeln hinaus geschaffen. Das veränderte Klima wurde besonders an den Meinungsumfragen zur Todesstrafe ersichtlich: 1972 waren 27 Prozent der Westdeutschen für die Todesstrafe, 1977 befürworteten 77 Prozent die Todesstrafe für »Terroristen«. Diese Stimmung erleichterte gleichzeitig die Zerschlagung einer militanten Anti-AKW-Demonstration in Kalkar, ohne damit auf nennenswerten Protest aus der Bevölkerung zu stoßen. Aber auch an der Stimmungsmache und anschließenden Debatte zur »organisierten Kriminalität«, die die Einführung von freiheitseinschränkenden, repressiven Maßnahmen wie den großen Lauschangriff weitgehend protestfrei ermöglichte, wird dieser Punkt deutlich.
Bestimmend für das Ausmaß der Repression können aber auch übergeordnete politische und ökonomische Interessen sein. So sind politische und ökonomische Interessen dafür verantwortlich, dass französische LKW-Fahrer bei ihrer Blockade deutscher Autobahnen geduldet wurden und sogar ministeriellen Besuch erhielten.
Gleichzeitig kann das politische und ökonomische Interesse an guten Regierungs-, Militär- und Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei das Herunterprügeln von KurdInnen bei ihrer Besetzung deutscher Autobahnen, das Verbot der PKK sowie das Vorgehen gegen kurdische Vereine allgemein erklären. Innerparteiliche Machtkämpfe, unklare Zuständigkeiten, Konkurrenz zwischen einzelnen Funktionsträgern, Profilierungsbedürfnisse, persönliche Machtinteressen o.ä. können ebenfalls zu unterschiedlichen Reaktionen des Machtapparates/Staates auf politischen Widerstand führen. Auch das eigene Verhalten in einem Prozess kann die Höhe der Strafe beeinflussen. Sie hängt z.B. Auch davon ab, inwieweit frau_mann sich zu einer Aktionsform und deren Inhalten bekennt oder sich distanziert vor allem, wenn damit Politik gemacht werden kann.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Staatliche Repression ist keine vorhersehbare Größe!
Angeklagt ist eineR, gemeint sind wir alle. Also, was tun?
Wir haben versucht, Wesen, Form und Ziel von Repression zu beschreiben und zuzuordnen, weil wir es für unerlässlich halten, sich im Umgang mit dieser grundsätzlich auseinander zu setzen.
Wir wollen erreichen, dass sich an der Auseinandersetzung ein grundlegendes Verhältnis zum System entwickelt. In unserer eigenen täglichen Praxis stellen wir immer wieder fest, dass auch wir die Fragen nach unserem Verhältnis zum Herrschaftssystem häufig nicht ausreichend geklärt haben. Daraus resultieren dann oft fatale Entwicklungen und Fehler von uns. Ein paar Fragen zu unserem Verhalten – an dem sich eine unzureichende Auseinandersetzung spiegelt – kannst du im folgenden Abschnitt lesen:
• Warum machen wir z.B. Eine Aktion und wundern uns dann über die Konsequenzen, wenn wir geschnappt werden?
• Warum kommt spontane Freude auf, wenn Nazis staatliche Repression in Form von Reisebeschränkungen, Meldeauflagen und Bullenknüppel zu spüren zu bekommen?
• Wie kommen wir dazu, Verbote von rechtsextremen Parteien und Organisationen zu fordern?
• Warum werden vor den Bullen Aussagen gemacht und andere mit rein gerissen?
• Warum werden Straf- und Zwangsgelder eher bezahlt als sich in gemeinsam geführten Prozessen dagegen zu wehren?
• Warum wird es nicht als seltsam empfunden, wenn wir bei Auseinandersetzungen in unseren sozialen Zusammenhängen, z.B. einer Schlägerei in »unserer« Kneipe, die Bullen zur Hilfe rufen?
• Warum ziehen sich Menschen aus ihren politischen Aktivitäten zurück, nachdem sie sich vor Gericht auf einen straf- mildernden Deal mit dem Zugeständnis auf »Besserung« eingelassen haben, der in den politischen Zusammenhängen als strategisches Verhältnis verkauft und diskutiert wurde?
• Warum ziehen wir uns häufig ab einem bestimmten Alter zugunsten von Privatleben und Beruf gänzlich aus unseren politischen Zusammenhängen raus?
• Warum ziehen wir bestimmte illegale Aktionen und Geldbeschaffungsformen gar nicht mehr in Erwägung?
• Warum finden sich herrschende Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen auch in unseren Reihen wieder, z.B. in Form von Mackerverhalten oder Rassismen?
Auf alle diese Fragen warten Diskussionen und Auseinandersetzungen.
MancheR wird sich fragen, warum es so schwer fällt, diese zu führen und ein Verhältnis zum herrschenden gesellschaftlichen System zu entwickeln, das antagonistisch ist? Liegt es daran, dass:
• wir Teil dieser Gesellschaft sind und von ihren Unterdrückungsmechanismen teilweise selbst profitieren?
• wir nicht darauf bauen können, von unseren Strukturen aufgefangen zu werden, wenn wir von Repression – im härtesten Fall von Knast – betroffen werden?
• es immer weniger alternative soziale Netzwerke gibt, in denen wir leben und arbeiten können, um uns ein klein wenig »Freiraum« von den Bedingungen und Regularien des freien Marktes zu schaffen?
• die Bedingungen zur Schaffung solcher Freiräume immer schlechter geworden sind und wir einfach aufgegeben haben, hierum zu kämpfen?
• wir denken, dass die weltweiten Entwicklungen zu wenig Hoffnung auf baldige elementare Umwälzung der Verhältnisse zulassen?
• keine Kontinuität militanter Praxis mehr existiert?
• Militanz zu einem Fetisch geworden ist und sich in ein antagonistisches Verhältnis zu setzen gleichgesetzt wird mit Militanz, nach dem Motto: Antagonismus = Militanz?
Fragen über Fragen, die nur in Auseinandersetzungen und Diskussionen in den Gruppen und Strukturen, aber auch und vielleicht im besonderen mit dir selbst und der eigenen Verortung geklärt und gelöst werden können. Trotz der vielfältigen Fragen und Unzulänglichkeiten wartet die Repression nicht, bis wir unser Verhältnis dazu geklärt haben, sondern trifft manchmal ganz unerwartet und oft auch unvorbereitet. Dann aber gibt es zwei Reaktionen, die wir für grundlegend falsch halten:
• Die eine ist, aufzugeben, nach Vogel-Strauß-Manier den Kopf in den Sand zu stecken und mit dem Widerstand aufzuhören. Das würde bedeuten, staatliche Repression hätte eines ihrer Ziele – den Widerstand zu brechen – erreicht.
• Die andere ist, Repression großspurig zu ignorieren. Wer nach dem Motto »mir doch egal« keine Vorsichtsmaßnahmen trifft, gefährdet nicht nur sich selbst. Sie/er nimmt nicht zur Kenntnis, dass Repression Teil der politischen Bedingungen ist, in denen wir mit unserem Widerstand agieren.
Auch wenn bewusst ein anderer Eindruck erweckt werden soll, gilt nach wie vor: »Angeklagt ist eineR, gemeint sind wir alle«!
Dass alle gemeint sind, heißt gerade nicht, dass sich um die Einzelnen nun nicht mehr gekümmert werden muss. Wer in die Mühlen von Polizei und Justiz gerät, ist zunächst einmal isoliert und zu Recht verunsichert, ängstlich und ratlos. Sie/er braucht in diesem Moment unsere spürbare Solidarität, die auf ganz verschiedenen Ebene sichtbar werden muss.
Bezogen auf eher »alltägliche« Formen von Repression, wie schikanöse Fahrzeugkontrollen, willkürliches „Heraus gegriffen werden“ aus Demos, lästige Personalienfeststellungen, Bußgeldverfahren, Anquatschversuche etc. heißt das: Hier ist unsere Solidarität angesagt. Also hingehen, fragen, ob wir helfen können, zeigen, dass es welche gibt, die nicht einverstanden sind!
Der Extremfall ist, dass es eineN von uns in den Knast verschlägt. Sie oder er darf auf keinen Fall vergessen werden! Gerade in dieser Situation ist der Kontakt zu den GenossInnen nach draußen fast »lebensnotwendig«. Angesagt ist:
• materielle Unterstützung, d.h. Geld sammeln, Post in den Knast schicken, AnwältInnen besorgen usw.,
• Öffentlichkeit herstellen, z.B. durch Flugblätter, Veranstaltungen, Knastdemos, Prozessbegleitung,
• Anträge für Knastbesuche stellen beim zuständigen Ermittlungsrichter und Kontakt über Briefverkehr von draußen nach drinnen organisieren,
• den Widerstand für den/die GenossInnen, die eingeknastet sind, weiterführen.
Es bringt nichts, die Heftigkeit der Repression zu beklagen. Unsere Diskussionen müssen sich darum bemühen herauszustellen, welche Inhalte wie und warum kriminalisiert werden und wie kurzfristig ein Kräfteverhältnis erreicht werden kann, dass die Hand- habe staatlicher Repression erschwert.
Wir müssen im Umgang mit Repression ein Verhältnis entwickeln, in dem wir unser politisches Ziel und die Reflexion der eigenen politischen Arbeit thematisieren. Das Nachdenken und der Kampf gegen Repression darf das Nachdenken und den Kampf um die eigenen politischen Inhalte nicht verdrängen. Die individuellen Ängste, Ohnmachtsgefühle und die Verunsicherung, die durch staatliche Repression ausgelöst werden (sollen!), müssen kollektiv aufgefangen und verarbeitet werden.
All dies ist Teil einer offensiven, kollektiven und auch individuellen Entwicklung. All dies bricht Repression natürlich nicht: Geldstrafe bleibt Geldstrafe, und Knast bleibt Knast! Wir wollen und müssen dem System der Repression, dem Versuch der Entpolitisierung und der Vereinzelung, unsere Entwicklung, die Entwicklung kollektiver Strukturen und politischer Organisierung – und nur die ermöglichen uns ein gemeinsames Handeln entgegenstellen.
Dies gilt nicht nur für unseren Umgang mit Repression, sondern grundsätzlich für unseren Kampf um die Aneignung des ganzen Lebens!